Wie die Kindermode sich im Laufe der Jahrzehnte verändert hat, so hat auch das Kinderlied eine Transformation erfahren. Obwohl nach wie vor die Grundsätze gelten, die von der Form her ein Kinderlied ausmachen, nämlich der gut verständliche, kindgerechte Text, eine Melodie, die gut zu ihm passt, sowie, von der Tonlage her, eine, auch für Kinder singbare Tonspanne, hat die Zielsetzung gewechselt.
War das Kinderlied im Ursprung eine schlichte, für den kindlichen Verstand durchaus einfach zu erfassende logische Einheit, wandelte sich das Bestreben der Liedermacher in den Siebziger Jahren hin zu einer pädagogisch wertvollen Aussage im Text, nahezu einer politischen Ausführung im Sinne der damals populären Kindererziehung. In den folgenden Jahren änderte sich das Verhältnis der Medien zu Kinderliedern, die fortschreitende Technologisierung auch des Musikmarktes, der Drang hin zur industriellen Fertigung, einem Massenkonsum von Massenprodukten, holte die Musik für Kinder ein. Auch die Kinder selbst verlieren im Computerzeitalter rasend schnell das, was man früher einmal unter Kindheit verstand. Lieder, die in vergangenen Zeiten für Zehnjährige konzipiert waren, taugen heute gerade noch für Vier- bis Fünfjährige.
Der Musikmarkt heute produziert Kinderlieder nicht mehr in großem Umfang, Kinderliedermacher sind selten geworden. Einen Boom erleben zurzeit jedoch gerade ältere Kinderlieder, auch die Folklore hat wieder in die Kindergärten Einlass gefunden. Wie schon Huxley in seinem Werk festgestellt hat, besitzen Kinderreime, also auch Kinderlieder durchaus ein pädagogisches, politisch erziehendes, geradezu hypnotisierendes Potenzial. Was für den Erwachsenen die Beeinflussung durch Medien und Werbung, kann auf einer anderen Ebene dasselbe für das Kleinkind im Kinderlied verwirklicht werden. Dass diese Art der Manipulation um ein enormes Vielfaches subtiler angewandt wird, als in der digitalisierten Konsum- und Mediengesellschaft der Erwachsenen, ist klar. Das Kinderlied ist trotzalledem sicherlich zögerlich dabei, aus diesem Schema herausgeholt zu werden und wieder den Rang in der deutschen Liedkultur einzunehmen, der ihm eigentlich zusteht.